Episode 8

Vernetzter Stumpfsinn

In den sogenannten „Sozialen Netzwerken“  steckt so wenig sozialer Sinn, wie Realitätsgehalt im Reality-TV.
Mit der Entstehung dieser Netzwerke schien es, als ob der Mensch einen jahrtausendelang ersehnten Wunsch endlich erreicht hat: die Einsamkeit zu besiegen. Ein entscheidender Etappensieg auf dem Weg zum unsterblichen Homo sapiens!
Wenn die ersten User dieser Netzwerke stolz darauf waren 50 virtuelle Freunde zu besitzen, geht es heute zum Teil um tausende von virtuellen Freunden pro Person!
Diese gigantische Zahl an unsichtbaren Gefährten beschert den meisten Usern einen noch nie da gewesenen Rausch, der allzu oft in irrealem Angebertum mündet. Dank des iPhone gehen täglich Milliarden Bilder von Partys, Reisen und noch mehr online. Je langweiliger unser Leben ist, umso gewaltiger ist unser Bedürfnis verherrlichend darüber zu berichten. So viel Aufmerksamkeit muss doch einem User täglich gerecht werden.
 
Die negativen Folgen dieser relativ neuen Entwicklung treten nun langsam ans Tageslicht.
1. Die Bereitschaft und die Zeit zum Nachdenken lässt bei jungen Menschen rapide nach.
2. In leibhaftigen, zwischenmenschlichen Begegnungen breitet sich allmählich die Neuzeitsprachlosigkeit aus. Man sitzt sich im Cafe, Restaurant oder egal wo, endlich persönlich gegenüber, aber anstelle die Begegnung zum direkten Austausch zu nutzen, vertiefen sich die Protagonisten jeder für sich gebannt in ihre SmartPhones. Was am Anfang bei jungen Menschen als schick empfunden wurde, geschieht zunehmend aus purer Not. Dieser Mangel an Kommunikationsfähigkeit ist die Folge einer absurden Realität. Man hat fünfhundert virtuelle Freunde und dennoch keinen einzigen echten Freund. Bei jüngeren Usern führt dieses zum Verlust der „Empathie“, denn um Mitgefühl zu entwickeln, ist der tägliche, leibhaftige Austausch mit anderen unverzichtbar.
3. Bei virtuell sozialisierten Kindern und Jugendlichen entwickelt sich eine völlig absurde Null-Werte Utopie. Deren Beurteilungsvermögen besteht öfter aus nur zwei Begriffen: „Super“ oder „Langweilig“. Verlegenheit wird mit Lachanfällen umschifft, wie unlängst in einer Schulklasse während eines Vortrags über das Massaker in Connecticut geschah. In sozialen Netzwerken wird erbarmungslos gemobbt, weil das Dasein keinen real fühlbaren Sinn oder Grenze mehr bittet.
 
Vor kurzem entschied ein schottischer User seine 12.500 Twitter-Freunde leibhaftig zu besuchen. Diese absurde Absicht markiert den Anfang vom Ende der Blütezeiten der virtuellen Netzwerke. Es könnte nun die Ära der rückgewandeten Romantik folgen. Auf einmal wird es wieder „In“ sein, Menschen mitten im Leben ohne virtuelle Ablenkung zu begegnen.
Wie wäre es mit einem Picknick zu zweit am Mainufer, ohne sich gleich ins Koma zu saufen um die Unsicherheit in stillen Momenten zu überwinden. Noch besser, an manchen vermeintlich einsamen Abenden einfach mal die Stille genießen und über Gott und die Welt sinnieren.
 
Im Internet tummelt sich eifrig auch die Elterngeneration. Jung sein bedeutete immer Rock, Rebellion und Verachtung von veralteten Konventionen. Das geschah in einer kulturellen Zone, die für die Elterngeneration unzugänglich war. Um den Zugang in eine Welt wieder zu entdecken, in der Jungsein aufregend und abenteuerlich ist, müssen junge Menschen der hohlen, langweiligen Zeitvergeudung in den Netzwerken und dem Kommerz der privaten Sender schleunigst den Rücken kehren.